Wo?
Berlin
Datum
April 2020
Fotograf
Jens Oellermann
Wir sind hier an einem der für mich wichtigsten Orte unserer Demokratie: Der Deutsche Bundestag ist ihre Herzkammer. Wir befinden uns auf der gläsernen Kuppel über dem Bundestag - eine gelungene architektonische Übersetzung von Transparenz und demokratischer Kontrolle. Man kann als Besucherin von der Kuppel runter gucken in den Plenarsaal und den Abgeordneten beim Arbeiten zuschauen, sie quasi kontrollieren. Normalerweise wären an so einem schönen Tag wie heute sehr viele Menschen hier: Bürgerinnen und Bürger, Besuchergruppen aus ganz Deutschland, auch sehr viele internationale Gäste.
In Sitzungswochen haben Abgeordnete neben den Sitzungen im Plenum viele weitere Termine und Verpflichtungen: Arbeitsgruppen und -kreise, Fraktionssitzungen, Kommissionssitzungen, Ausschussarbeit, und für mich und meine Vizekolleginnen und –kollegen das Präsidium mit dem Bundestagspräsidenten Dr. Schäuble.
In Corona-Zeiten finden diese Sitzungen und Arbeitstreffen nur zum Teil in der direkten Begegnung und wenn dann mit dem nötigen Abstand statt. Alles andere läuft im Moment virtuell. Es gibt Tage wie heute, da bin ich fast zehn Stunden in Videokonferenzen, was extrem anstrengend ist.
Allerdings bin ich froh, dass der Bundestag auch in diesen Zeiten arbeiten kann und wir in der Lage sind, im Plenum zu debattieren und zum Beispiel notwendige Gesetzespakete zu verabschieden. Ich finde vieles richtig, was die Bundesregierung in den schwierigen vergangenen Wochen in Kooperation mit Opposition und den Bundesländern auf den Weg gebracht hat. Niemand war auf so eine Pandemie eingestellt und wusste die Antwort auf wirklich schwierige Fragen. Gleichzeitig müssen wir sehr gut aufpassen, dass die - für unser aller Gesundheit derzeit notwendigen - Grundrechtseinschränkungen stets geprüft und zeitlich begrenzt bleiben.
Die Gesamtschau zeigt: Wir können als starke Demokratie eine Pandemie beherrschen, eindämmen und zurückdrängen. Wo autokratische Staaten auf Armee, Polizei, Einschränkung der Pressefreiheit und Überwachung setzen, geht die Demokratie den Weg der Überzeugung, Einsicht und gesellschaftlicher Solidarität.
Für die Zukunft wünsche ich mir, dass wir solidarisch bleiben, auch in Europa und bald wieder die Grenzen öffnen. Ich sehe mich als Europäerin, wir leben in offenen Gesellschaften mit einem gemeinsamen Binnenmarkt. Die derzeitige Situation empfinde ich daher als ziemlich bitter und bedrohend. Ich wünsche mir sehr, dass nicht eine neue Pandemie in Form des Nationalismus über uns kommt. Dazu zählt auch, dass wir nicht vergessen, was in anderen Regionen der Welt los ist: in Asien, Lateinamerika oder Afrika. Es gibt globale Herausforderungen, auf die wir auch mit globaler Verantwortung und internationaler Solidarität reagieren müssen.
Ganz persönlich möchte ich gerne wieder bei der Nußbaumerin in Berlin ein Wiener Schnitzel essen und bei Antonio sardische Pasta, bei meinem Griechen guten Wein trinken und bald wieder einmal im Biergarten sitzen. Natürlich würde ich auch gern meine Schwestern in Bayern besuchen können. Ich wünsche mir einfach, dass – bei aller Verantwortung für den Schutz von Anderen und einem Selbst – wieder mehr Leben und zwischenmenschliche Begegnung möglich ist.
Fünfzehn Profifotografen und Fotografinnen, vom Alpenvorland bis Sylt porträtieren deutschlandweit Menschen in der Corona-Auszeit.
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