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GLASHAUS. Ver­ein der Nut­zer der Brot­fa­brik e.V.

Jörg Fügmann

Wo?

Berlin

Datum

Mai 2020

Fotograf

Viviane Wild

Bitte beschreiben Sie diesen Ort (und das Leben hier zu normalen Zeiten).

Mein Name ist Jörg Fügmann, ich bin 56 Jahre alt und seit 33 Jahren in diesem Haus. Seit 1990 bin ich hier Geschäftsführer und Vorstandsmitglied, wobei man sagen muss, dass wir sehr flache Hierarchien haben.
Wir sind ein interdisziplinäres Haus. Wir haben ein Kino, ein Theater, eine Kneipe, eine Galerie und wir haben einen sogenannten inklusiven Kunstbereich. Der hat ein kleines Atelier und demnächst bauen wir auch noch ein großes Atelier. Wir arbeiten auch ein bisschen in den Kiez hinein. Wir sind ein klassisches Kulturzentrum für Berlin und ein klassisches kulturelles Nachbarschaftszentrum.


Unser Kulturzentrum ist praktisch aus einem Jugendclub entstanden. Kurz vor der Krise hatten wir eine Erfolgssträhne. Das heißt, das Haus entwickelte sich, aber auch gerade der Kiez entwickelt sich, da viele Neue hierhin gezogen sind. Wir waren sehr gut besucht und optimistisch, was unsere eigene Entwicklung betraf. Wir sind Anfang 2020 ein Kulturzentrum gewesen, das sowohl im Kiez ganz gut begann zu funktionieren als auch ganz gut in der Stadt stand. Wirtschaftlich war es noch nicht so gut, aber wir hatten ein paar Förderungen und haben unser Geld verdient und standen ganz gut da – bis Corona kam.

Bitte beschreiben Sie Ihre aktuelle Situation?

Wir hatten ab einem bestimmten Tag weder Besucher noch Einnahmen noch ein Team. Die meisten Kollegen mussten wir wegschicken, teilweise mussten wir sie selbst in Kurzarbeit schicken oder kündigen. Von einem auf den anderen Tag sind wir von einem gut besuchten Kulturzentrum mit eigentlich 40 Mitarbeitern auf ein Geisterhaus mit unter 10 Menschen geschrumpft.

Was erwarten Sie für sich persönlich von der Zukunft?

Ich habe keine Angst vor Corona. Ich fühle mich gar nicht unsicher. Es ist eher ein völlig absurdes Gefühl der Zeitlosigkeit. Man ist so aus allem total rausgefallen. Klar man hat noch was zu tun und ich bin jeden Tag hier, die Tagesabläufe ähneln sich, aber es ist so völlig sinnlos geworden. Man sagt immer das Haus lebt, wenn Menschen da sind. Das sagt man von Veranstaltungshäusern oft. Jetzt ist das Haus leer. Man denkt, unter diesen Umständen ist es völliger Quatsch, dass es uns überhaupt gibt.

Ich bin immer ein positiver Mensch mit Hoffnungen, da aber auch im Moment von der Politik gar nicht diskutiert wird, wann können die wieder aufmachen, wann können die aufmachen und man sich an dieses komische zeitlose Gefühl allmählich gewöhnt, hat man gar keine Hoffnung mehr, dass das jemals anders weitergehen könnte. Du weißt natürlich, es wird weitergehen. Es gibt ein Leben danach, aber du entwickelst es nicht. Du weißt es, aber das innere Gefühl sagt „Ach wirklich? Kann ich mir überhaupt nicht mehr vorstellen?“ Ich weiß, dass es so sein wird, aber ich fühle das im Moment nicht. Herz und Kopf sind auf einer anderen Ebene.

Was die Zukunft betrifft, ist es hier etwas sachlicher. Es wir den Tag X geben, aber natürlich merkst du, wie die Spannkraft auch aus den Kollegen geht. Unsere Minijobber, die wir per Gesetz weiterzahlen müssten, mussten wir alle entlassen. Das ist das Absurde. Wir haben das Team erheblich reduziert, weil wir uns schon mental auf das „Danach einrichten“. Das ist eben dieses Doppelgefühl. Einerseits weiß ich nicht, ob unser Team wirklich so fit ist, wenn es wieder losgeht und ob wir es dann gemeinsam packen werden. Dann ist das Team sehr klein. Stellen wir dann so schnell wie möglich neue Leute?

Also wenn es wieder losgeht, haben wir einerseits das Problem: Ist unser Personal fit genug? Haben wir genug Personal? Aber das ist die große und für mich entscheidende Frage: Wie wird sich unser Publikum verhalten? Das Wiederanlaufen ist von so vielen problematischen Faktoren überschattet, dass ich gar nicht sagen kann: „Nach der Krise wird alles wieder gut.“ Wir wissen ja gar nicht wann es losgeht, und haben gar keine Chance uns vernünftig vorzubereiten und dann ob wir es überhaupt schaffen. Das Publikum ist nicht kalkulierbar. Ich kann es einfach nicht einschätzen.

Fünfzehn Profifotografen und Fotografinnen, vom Alpenvorland bis Sylt porträtieren deutschlandweit Menschen in der Corona-Auszeit.

Aus.Zeit 2020 ist ein Not-for-Profit-Projekt der Werbeagentur brandcom. Entstanden aus dem Impuls, den Moment festzuhalten, ohne Gewinnausrichtung.