Wo?
Berlin
Datum
April 2020
Fotograf
Viviane Wild
Paul Tischler: Hier sind viele Mitarbeiter und alle Büros sind besetzt. Es finden viele Termine statt, Besucher kommen in den Verlag und Kunden besuchen die verlagseigene Buchhandlung „Einar & Bert“. Es gibt einen großen Flur, der die Verlagsräume mit der Buchhandlung verbindet. Da merkt man die ständige Bewegung des Unternehmens. Wer konzentriert arbeiten möchte, muss seine Bürotür schließen.
Wie sind bei euch die Termine verteilt? Gibt es normalerweise terminliche Hochphasen zum Beispiel, wenn das Magazin Theater der Zeit rauskommt?
Harald Müller: Die Besonderheit eines Theaterverlages liegt darin, dass man tagsüber im Büro arbeitet und am Abend arbeitet man weiter, indem man ins Theater geht. Am nächsten Tag wird darüber geredet, geschrieben und nachgedacht. Das ist das Schöne und zugleich Einzigartige.
Das heißt, man hat in dem Sinne keinen Feierabend.
Paul Tischler: Dadurch, dass das Heft monatlich erscheint, ist das hohe Terminlevel konstant. Nur im Sommer, wenn die Theater in die Spielzeitpause gehen, macht die Redaktion eine längere Pause. Dann ist es von Juli bis Mitte August sehr ruhig hier.
Harald Müller: Der Verlag muss zwei Tempi miteinander vereinigen. Das Tempo der Zeitschrift ist ein schnelleres, impulsiveres als das Tempo der Bücher. Es beansprucht manchmal Jahre, ein Buch zu entwickeln. Beides miteinander zu synchronisieren ist Pauls und meine Aufgabe. Das Spannende daran ist, dass man auch die Tempi von verschiedenen Abläufen, wie dem Lektorat und der Redaktion der Zeitschrift miteinander synchronisiert.
Paul Tischler: Es ist sehr ruhig. Man kann die Türen auflassen. (Lacht.) Gerade sind wir im Notbetrieb mit einer reduzierten Kraft in der Buchhandlung und einer halben Kraft im Vertrieb, die Bestellungen bearbeitet. Ich bin als Geschäftsführer vor Ort, aber das war es dann auch. Die restlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind entweder im Home-Office oder in Kurzarbeit.
Wie ist das jetzt mit dem Magazin Theater der Zeit, wenn die Theater geschlossen sind und Premieren entfallen? Stützt ihr euch auf das Internet und schaut, was man da zeigen kann?
Paul Tischler: Die Auswirkungen der Corona-Pandemie zeigen sich auf verschiedenen Ebenen. Einerseits die Arbeitsatmosphäre, aber natürlich auch den Inhalt und die ökonomische Situation. Eine inhaltliche Auswirkung ist, dass wir den Umfang des Heftes um 16 Seiten reduzieren mussten. Theater der Zeit besteht zum Glück nicht nur aus Kritiken von Theaterstücken. Unsere Reportagen und Interviews können die Hefte auch spielend füllen. Dennoch hoffen wir, im September und Oktober wieder ganz regulär zu erscheinen.
Harald Müller: Auf der finanziellen Seite haben sich die Umsätze halbiert. Ein Grund dafür ist, dass die Buchhandlungen von heute auf morgen geschlossen wurden. Das ist für unseren Verlag und alle anderen Verlage fatal. Besonders trifft es uns, weil wir ein Theaterfachverlag sind und Buchhandlungen unsere Bücher für interessierte Kunden in der Regel extra bestellen. Diese Warenkette ist im Moment unterbrochen. Wenn dann auch noch Amazon Bücher nicht priorisiert, weil sie das größere Geschäft mit Nahrungsmitteln, Schrankwänden oder Gesichtsmasken machen, ist das fatal. Wir verkaufen Bücher auch über unseren eigenen Online-Shop. Dieser Verkaufsweg wird zurzeit vermehrt genutzt, aber es gleicht unser Defizit nicht aus.
Die Theater der Zeit ist ebenfalls ein Fachmagazin, das einen ganz bestimmten Kreis an Interessenten anspricht. Die hier veröffentlichten Anzeigen machen einen großen Teil unseres Umsatzes aus. Im Frühjahr betrifft das Anzeigen für die großen Theaterfestivals, im Herbst machen wir sehr viele Umsätze mit den Spielplananzeigen der Theater.
Vor 15 Jahren dachten wir, dass sich diese Zeitschrift nicht mehr aus sich selbst ernähren kann. Der Verlag brauchte ein zweites Standbein und das waren die Bücher. Das hat sich gut zurecht geschüttelt und nun kommt die doppelte Katastrophe für den Verlag. Wir können die Bücher nicht mehr verkaufen und machen keine Umsätze mit den Anzeigen, weil die Festivals abgesagt werden.
Harald Müller: Ich habe in meinem Leben schon zu viele Krisen erlebt, um zu glauben, dass mit der Corona-Krise das Ende der Zeitschrift oder des Verlages kommen wird. Im April-Heft gab es eine Kurzkritik über die Inszenierung „Lolita (R)evolution (Rufschädigendst) – Ihr Alle seid die Lolita Eurer Selbst!“ von Jonathan Meese. Der Abend stand unter dem sinnträchtigen Titel „Theater der Zukunft“. Das ist großartig, statt Theater der Zeit „Theater der Zukunft“. Das ist eine Motivation weiterzumachen. Außerdem denke ich, dass man sich nicht dem Pessimismus der Zeit ergeben darf. Paul und ich sind glücklich in dieser Arbeit und dieses Glück beflügelt uns in diesen prekären Zeiten.
Paul Tischler: Ich bin auch fest überzeugt, dass der Verlag noch lange fortbestehen wird.
Fünfzehn Profifotografen und Fotografinnen, vom Alpenvorland bis Sylt porträtieren deutschlandweit Menschen in der Corona-Auszeit.
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